8. September 1962

(Mutter scheint nicht ganz gesund zu sein. Angeblich hatte sie Ohnmachtsanfälle. Satprem wußte nichts Näheres.)

Bist du müde?
Ja, ein bißchen.

Seit drei Tagen läuft eine Schlacht, eine Schlacht, eine Schlacht.

(langes Schweigen)

Man kann nicht wissen, ob es ein Zufall ist ... Ich glaube nicht an Zufälle.

Ich dachte gerade: Trifft es nicht mit der Ankunft von X zusammen?
Er kam gestern. Die Meditation war gut, in dem Sinne, daß sie sehr konzentriert war, sehr still, und er erlebte einen Aufstieg (Geste eines Dreiecks mit nach oben weisender Spitze) mit einem Höhepunkt (für ihn) und einer Herabkunft von Licht. Sehr ruhig, sehr still.

Der Arzt sagt, er habe die Grippe - vielleicht hat er mich angesteckt? Ich weiß es nicht.

(Schweigen)

Es ist gar nicht mehr das Gefühl einer "Krankheit". Vorgestern war es sehr deutlich das Gefühl eines Angriffs, eines sehr heftigen Angriffs - ich mußte mehr als eine halbe Stunde kämpfen.

Etwas will dem physischen Körper immer das Leben entreißen. Es nimmt diese Form an.

(Schweigen)

Offensichtlich stehen X und ich nicht auf derselben Ebene, das ist ganz klar. Seine Macht und sein Handeln liegen auf mental-physischer Ebene (Geste nach unten), und es mag sein, daß mir das Komplikationen bereitet, denn dadurch muß ich eine Arbeit verrichten, um die ich mich sonst nicht kümmere.

Du hast mir öfters gesagt, daß jedesmal, wenn er kommt, Dinge von unten aufsteigen.
Ja.

Es berührt mich nicht, denn dieser Bereich ist seit langem geordnet, aber es berührt die Atmosphäre und bringt mich in Kontakt mit Dingen, mit denen ich mich sonst nicht abgebe. Da es nun im Moment für den Körper schwierig ist ... Ich sagte dir gerade in unseren letzten Gesprächen, daß das Subtilphysische dabei ist, das Physische zu durchdringen.

Offensichtlich war der Körper nicht gerade erpicht darauf, daß seine Schwierigkeiten noch zunehmen.

(langes Schweigen)

Es ist ein seltsames Gefühl, eine eigenartige Wahrnehmung der beiden Funktionsweisen: der wahren Funktionsweise und der vom individuellen Gefühl des individuellen Körpers entstellten Funktionsweise. Man kann nicht einmal sagen, sie würden sich überlagern, es ist fast gleichzeitig, das macht es schwierig, es zu erklären ... Es gibt eine Menge falscher Funktionsweisen des Körpers. Ich weiß nicht, ob man das Krankheiten nennen kann - vielleicht bezeichnen die Ärzte das als Krankheit, ich weiß es nicht -, aber auf jeden Fall ist es eine falsche Funktionsweise - eine falsche Funktionsweise der Körperorgane: Herz, Magen, Darm, Lunge usw. Und zugleich ... man kann es nicht als "Funktionsweise" bezeichnen, aber jedenfalls ist es der wahre Zustand. Das bewirkt, daß gewisse Störungen nur auftreten, wenn das Bewußtsein ... gleichsam in eine gewisse Stellung gezogen oder gestoßen oder gesetzt wird, und da tritt die falsche Funktionsweise SOFORT auf - nicht als Konsequenz, sondern das Bewußtsein wird ihrer Existenz gewahr. Und wenn das Bewußtsein lange genug in dieser Stellung verharrt, tritt das ein, was man üblicherweise als Konsequenzen bezeichnet: die falsche Funktionsweise hat Konsequenzen (ganz kleine Dinge, ein physisches Unbehagen, wenn du so willst). Und wenn (sei es durch die yogische Disziplin, sei es durch das Eingreifen des Herrn, man kann es nennen, wie man will) das Bewußtsein wieder seine wahre Haltung einnimmt, hört es SOFORT auf. Aber manchmal ist es so (Mutter macht eine Bewegung des Überlappens oder Durchdringens, indem sie die Finger ihrer offenen rechten Hand durch die Finger der linken schiebt), das heißt, es ist dies und dann das, dies und dann das (dieselbe Geste, um eine Wechselbewegung des Bewußtseins zwischen den beiden Zuständen zu zeigen), diese Position und dann jene Position, diese Position und dann jene. Innerhalb weniger Sekunden bewirkt es diese Bewegung, und dann hat man fast die gleichzeitige Wahrnehmung der beiden Funktionen. Dadurch erkannte ich auch den Vorgang, sonst hätte ich ihn nicht verstanden. Ich hätte geglaubt, es sei ein Zustand, von dem ich dann in einen anderen fiele - aber so ist es nicht, es ist nur ... Alles, die ganze Substanz, die Vibrationen folgen wahrscheinlich ihrem normalen Lauf, und nur die Wahrnehmung des Bewußtseins wechselt.

Wenn man dieses Wissen bis an seine Grenze treibt, es verallgemeinert, bedeutet es, daß das Leben (was wir gewöhnlich "das Leben" nennen, das physische Leben, das Leben des Körpers) und der Tod DASSELBE SIND, sie bestehen gleichzeitig ... nur das Bewußtsein verhält sich so oder so, verschiebt sich so oder so (dieselbe Geste des Hin und Hers zwischen den Fingern). Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich machen kann, aber das ist phantastisch!

Diese Erfahrung habe ich mit konkreten und völlig banalen Beispielen. Nichts, das Anlaß für Einbildungen oder Enthusiasmus gäbe, nichts dergleichen, es geschieht in den absolut banalsten Details. Zum Beispiel (das ist nur EIN Beispiel) findet plötzlich diese Art Verschiebung des Bewußtseins statt (sie ist nicht wahrnehmbar, man merkt es nicht, denn ich vermute, wenn man Zeit zum Beobachten hätte, fände es nicht statt; es ist nicht objektiviert), und ... der Eindruck, daß man ohnmächtig wird, das heißt, daß das ganze Blut vom Kopf in die Füße fließt und dann hopp! Wenn nun das Bewußtsein RECHTZEITIG zurückkommt, passiert nichts. Wenn es nicht rechtzeitig zurückkommt, geschieht es.

Das scheint zu bedeuten ... Ich weiß nicht, ob man es verallgemeinern kann oder ob es ein Sonderfall ist, der gerade erarbeitet wird - ich kann es nicht sagen, aber der Eindruck ist sehr deutlich, daß das, was sich im gewöhnlichen Bewußtsein der Leute - in den Erscheinungen - durch den Tod ausdrückt, nur dadurch verursacht wird, daß das Bewußtsein nicht schnell genug in seine wahre Position zurückgelangt.

Ich verstehe sehr wohl, daß es nichts zu bedeuten scheint. Ich fühle wohl, daß die Worte fehlen, daß der Ausdruck völlig fehlt, um die Erfahrung zu erklären.

Wenn man es gehoben ausdrücken will, sagt man: "Es ist eine Bewußtseinsumkehrung" - doch das trifft es nicht. Das ist Literatur.

Aber vielleicht ist es eine Annäherung ans wahre Wissen - das Wissen bedeutet die Macht, es zu ändern. Die Macht über etwas besteht darin, es zu kennen. Wir können von Wissen reden, wenn wir die Sache erschaffen oder ändern, sie andauern lassen oder anhalten können - das ist Macht. Das bedeutet Wissen. Alles andere sind Erklärungen, die das Mental sich selbst gibt. Ich fühle wohl, daß etwas ("etwas"! Ja, Sri Aurobindo nennt es "den Herrn des Yogas", das heißt, den Teil des Herrn, der sich um die Evolution der Erde kümmert) mich zur Entdekkung dieser Macht führt - zu diesem Wissen -, natürlich durch das einzig mögliche Mittel: die Erfahrung. Mit großer Behutsamkeit, denn ich spüre wohl, daß ...

Es geht so schnell voran, wie es kann.

Äußerlich beunruhigen diese scheinbaren Störungen natürlich die Leute, besonders den Arzt. Ich erklärte ihm, daß all das mit dem Yoga und der Transformation zu tun habe, daß er sich nicht sorgen solle, aber für die gewöhnliche Sicht ist es offensichtlich beunruhigend. Eine Tatsache ist besonders bestürzend für die gewöhnliche Anschauung, und zwar die, daß ich sehr regelmäßig an Gewicht verliere. Ich bin schon bei einer lächerlichen Zahl angelangt: ich wiege nur noch neununddreißig Kilo! Mein normales Gewicht für meine Größe und meinen Körperbau wäre sechzig. Das heißt mit fünfundzwanzig Jahren wog ich 60, 62 Kilo. Jetzt wiege ich nur noch 39, und es wird immer weniger. Ich verstehe, daß das für die Leute, die die Dinge vom gewöhnlichen Standpunkt aus betrachten, beunruhigend ist ... Ich esse nicht viel (nicht wenig, nicht viel, völlig durchschnittlich), und ich scheine keinen Nutzen aus meiner Nahrung zu ziehen - all das aus der Sicht der äußeren Anschauung. Dann erlebe ich eigenartige Phänomene. Meistens sage ich nichts davon (nur dir erzähle ich das, sonst niemandem), ich spreche nicht darüber, aber von Zeit zu Zeit muß es wohl so scheinen, als würde ich ohnmächtig. Auch nicht auf gewöhnliche Weise, das ist es ja! Nichts geschieht auf gewöhnliche Weise, dadurch wird es sehr beunruhigend! (Mutter lacht) Die Energie ist un-ge-heu-er-lich! Viel gewaltiger, als sie jemals war - und die physische Kraft verschwindet fast gänzlich. Ich kann handeln, aber nur, wenn ich Energie hineingebe. Das heißt, der geringste physische Akt verlangt Energie. Ich glaube, der Körper ist völlig ... transparent; er scheint ... manchmal berühre ich ihn, um zu sehen, ob er noch ... ob er fest oder weich ist!

(Schweigen)

Es gab einen äußerst heftigen Angriff (ich glaube, es war gestern, nein, vorgestern), und im selben Augenblick kam eine ungeheure kämpferische Kraft in mich (der Angriff bestand darin, alles, was bösen Willens ist, auf den Ursprung zurückzuwerfen, wenn es einen gibt, und alles, was gefährlich erscheint, zu begünstigen und zu fördern). Das Bewußtsein war fast wie eine Wesenheit der Kampfesmacht, es kam und blieb da, bis der Körper wieder seinen Frieden fand - seinen normalen Frieden.

Ich beobachtete dabei fast Schlachtenblitze. Ein interessantes Schauspiel! Der Körper war sich der erhaltenen Hilfe sehr bewußt - es gab ihm viel Vertrauen, er kam von dort mit der gesteigerten Sicherheit heraus, daß er geführt werde, wie es zur Vollbringung "der Sache" nötig ist - eine Sache, die äußerlich niemand genau kennt, niemand! Niemand kann es wissen, weder den Vorgang noch ... nichts. Völlig neu!

Natürlich weiß das höchste Bewußtsein, was Es tut und was geschehen wird, in dem Sinne, daß Es weiß, was Es will, aber das verläuft nicht über Ursache zu Wirkung und über Ereignisse oder Umstände zu Konsequenzen wie im gewöhnlichen Bewußtsein. So geschieht es ganz und gar nicht, und deshalb sind wir im Augenblick unfähig, es äußerlich auszudrücken. Später werden wir etwas erarbeiten können, aber es wird immer nur ... (wie soll ich sagen?) eine erzählte Geschichte sein, oder? Nicht DIE Sache selbst.

Jedenfalls kann alles, was ich dir hier sage, von Nutzen sein!

Ja!
Wie eine Andeutung. Es ist allerdings sehr unzureichend, es ist ein Ungefähr.

Gut, mein Kind.

***

(Am Ende der Unterhaltung spricht Mutter wieder von X's Besuch:)

Was geschehen mußte, ist nach und nach eingetreten, das heißt, du hast eine Beziehung mit einem X, der nicht X sondern der X DEINER Formation ist - ich sagte es dir schon -, ein idealer X, den du in dir aufgebaut hast. Es wäre besser, dein Ideal nicht mehr mit X zu verbinden, denn ... die beiden entsprechen sich nicht.

Aber wie soll ich mich äußerlich verhalten?
Nichts. Oder du machst ein Pranam vor ihm, das ist alles, das spielt keine Rolle. Mein Kind, ich könnte mit aller Aufrichtigkeit vor einem kleinen Hund ein Pranam machen - indem ich den Herrn sehe. Du mußt nur an den Herrn denken.

So verhalte ich mich auch immer.
An den Herrn denken, das ist alles.

Höflich sein.

Laß dich nicht durch diesen Besuch stören.

Eigentlich erscheint es mir wirklich wie etwas Nebensächliches, das einen Teil eines ungeheuren Ganzen ausmacht. Er stellt EINEN Aspekt der Suche nach dem Göttlichen auf der Erde dar und ist Teil eines großen Ganzen wie all die Sannyasins, Sadhus usw. Es trifft sich, daß X uns näher steht, weil er die Göttin der Liebe sehr verehrt, den Liebesaspekt der Shakti. Das hat ihn uns natürlich nahe gebracht, aber ... Ich sehe ihn als Teil einer ganzen Welt, in der es viele andere Dinge gibt. Du kennst das Fest, das alle zehn Jahre stattfindet (glaube ich), mit all den Sadhus, die im Ganges baden. Ich sah die Fotos - es ist schmerzlich ... ja, schmerzlich. Das ist nicht schöner, nicht harmonischer als eine Horde von Leuten, die sich in eine Revolution stürzen. Das ist ... das enthält keine besondere Gnade.

Erinnerst du dich an die Geschichte des Mannes, der seit fünfundzwanzig Jahren an den Quellen des Ganges lebt? Hier ist er (Mutter zeigt das Foto). Er war in seiner Höhle, und V sagte ihm: "Ich möchte ein Foto von Ihnen machen." Er erwiderte: "Gut". Er kam heraus und setzte sich in den Schnee - völlig nackt.

(Mutter betrachtet das Foto) In der Stirn, den Augen und der Nase (ich weiß nicht warum, aber besonders in der Nase) gibt es etwas sehr Ähnliches bei all jenen, die die Erfahrung des inneren Kontaktes hatten.

Er ist mehr ein Beispiel für das, was der Mensch erreichen kann: er ist wie ein Vorläufer. Eher ein Vorläufer als ein Arbeiter. Er ist keine schöpferische Kraft auf der Erde sondern ein Beispiel.

Ja, das sind eher Siddhis als evolutionäre Entwicklungen. Es sind Dinge, die der Natur aufgezwungen werden.
Es sind eher Fähigkeiten, die sich später in der neuen Rasse entwikkeln müssen, die im Keim angelegt sind, und man ließ den Keim als Beispiel wachsen, aufsprießen, bevor die allgemeine Sache stattfindet - es sind Beispiele.

Es gibt noch einen. Seine Schüler sagen, er sei 154 Jahre alt - ich werde dir sein Portrait zeigen (Mutter holt das Foto). D besucht ihn zweimal im Monat, und gestern oder vorgestern sagte er ihm angeblich: "Ja, wißt ihr, für mich ist das größte Wunder, mehr als tausend Menschen für ein spirituelles Vorhaben versammelt zu haben!" (Mutter lacht hellauf) Das ist lustig! ... Tausendzweihundert Leute ist die offizielle Zahl des Ashrams - "eine Gruppe von mehr als tausendzweihundert Leuten für ein spirituelles Vorhaben versammelt zu haben!"

Er sagte, er würde hierher kommen, wenn ich ihn riefe - ich ließ ihm sagen, daß ich ihn nicht rufen werde, denn ich könne einen so alten Mann nicht stören, ohne ihn empfangen zu können.

(Mutter betrachtet das Foto) Er scheint ein rechtschaffener Mann zu sein.

Aber es gibt viele wie ihn.

X wirft mir vor, daß ich kein "Kumkum" mehr auf der Stirn trage. Ich antwortete nichts, sagte nichts.
Er hat Angst, daß die Leute den Weg vergessen, wenn sie keine Riten ausüben.

Ja, er hat den Eindruck, daß ich alles fallen lasse.
So ist es. Er hat den Eindruck, man sei vom Weg gefallen, wenn man die Dinge nicht tut, die er sagte und wie er sie sagte. Er kann das nicht verstehen. Und Diskutieren führt zu nichts.

Er ist nicht zufrieden mit mir.
Er glaubt, daß du kicked your sadhana [deine yogische Disziplin hinausgeworfen hast].

Das ist lächerlich!
Aber nein! Ich sage dir, er kann es nicht verstehen. Für ihn bedeutet Sadhana ... Ich ließ ihm sagen, daß ich in die Sadhana vertieft sei. Sofort sah ich in seinen Gedanken die Vorstellung, daß ich mit gekreuzten Beinen sitze und eine ewige Puja verrichte! Verstehst du. Für ihn bedeutet Sadhana bestimmte festgelegte Regeln, und wenn man die Regeln vernachlässigt, läßt man die Sadhana fallen. Aber das macht nichts, sei unbesorgt!

Die "Krankheit" bedeutet, daß ihn etwas mehrere Leben auf einmal durchlaufen lassen will. Wenn es gelingt, wird er am Ende sicher verstehen. Wenn es nicht gelingt, haben wir getan, was wir vermochten, hat er getan, was er konnte, und alles wird zum besten sein.

Ich habe einen Zustand erreicht, wo ich das Streben zum Göttlichen selbst in einem sehr kleinen, sehr unbewußten Wesen sehen kann: in kleinen Hunden, kleinen Katzen, kleinen Kindern, einem Baum - es ist sichtbar. Das ist die ungeheure Sadhana der Erde ... die sich vorbereitet, das Göttliche zu empfangen.

Das ist alles, was erforderlich ist.

Die Formen sind uns völlig egal.