86 S., ISBN 3-910083-16-1
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Der Mensch ist ein Übergangswesen, erklärte Sri Aurobindo am Anfang des Jahrhunderts, und er kündigte eine "neue Evolution" an. Die unbekannte Geschichte dieses Übergangs wird hier geschildert, und die ersten Spatenstiche einer neuen Spezies, welche den Homo electronicus verdrängen wird, wie wir eines Tages die Primaten ablösten.


"Wie durch einen unwiderstehlichen Drang fühlt sich Satprem gezwungen, diesen kurzen, fast fiebrigen und beunruhigenden Text zu veröffentlichen
Durch plötzliche Erkenntnisse, Lichteinbrüche und gewaltsame Stöße will er aus diesem menschlichen Leben ausbrechen, dessen ganze Substanz der Tod ist, um durch ein allesverzehrendes Feuer zur "anderen Seite" durchzubrechen. Satprem will vermitteln, wie dieses "Wunder" der Körpermaterie entrissen wird und wie diese "neue Sonne" jenseits aller Worte liegt.
Sein Buch hinterläßt einen kraftvollen Impuls, den Übergang vom Möglichen zum Unmöglichen zu wagen: den Tod zu verändern, um das Leben zu ändern." - Le Monde

Inhalt:

1. Das wissenschaftliche Mittelalter

2. Der Aufstand der Erde

3. Die Sphinx

4. Der Revolutionär

5. Sie

6. Die Herausforderung

7. Das Leben und der Tod

8. Das "Ich weiß" des Körpers


1. Das wissenschaftliche Mittelalter

Wenn eine Spezies es verfehlt, ihren Sinn zu finden, dann stirbt sie oder zerstört sich selbst.

Wir hielten uns für Franzosen, Chinesen und Russen, für gelb und weiß und schwarz, aber das ist unsere erste Barbarei. Wir hielten uns für christlich, hedonistisch und muselmanisch und ich weiß nicht was, aber das ist unsere zweite Barbarei. Wir hielten uns für wissenschaftlich und für Entdecker der Sterne - und für die Konsumenten aller bestehenden Arten -, doch das ist unsere dritte Barbarei. Wir verschlingen alles, aber wer verschlingt was? Wir wissen alles, aber wer weiß was?

Nach dem religiösen Mittelalter das wissenschaftliche Mittelalter. Und wir wissen nicht, welches das schlimmere ist.

Dennoch ist es einfach - und sehr schwierig.

Die Evolution einer Spezies liegt nicht in dem, was sie über sich selbst denkt, wenn auch die Fähigkeit des Denkens uns helfen mag, den Gang zu beschleunigen und den Sinn zu erkennen. Eine Evolution der Arten findet im Körper statt, das ist seit 400 Millionen Jahren offensichtlich. Wenn es darum geht, vom Hai zum Seehund auf seiner Eisscholle überzugehen, ist es von geringer Bedeutung, ein gelber oder weißer oder schwarzer Fisch gewesen zu sein, nicht einmal ein wissenschaftlicher Fisch, denn es ist in jedem Fall eine Wissenschaft des Fisches und somit eine überholte Wissenschaft.

Aber seht doch ein! werden die Wissenschaftler sagen, wir leben unter den Sternen, aufrecht auf zwei Beinen, wir haben sogar Teleskope und Mikroskope - und wir können alles zählen, sogar die Anzahl eurer Atome, und humorlos können wir feststellen, daß ein Salzkörnchen eine Billion Billionen Atome enthält.

Doch das ist falsch: wir leben nicht unter den Sternen und nicht in dieser atomaren Rechnung, wir leben im Tod. Unsere Wissenschaft ist eine Wissenschaft des Todes, genauso wie unsere Theologie. Die erste evolutionäre Tatsache, die grundlegende Tatsache des Lebens, ist der Tod - wir sehen alles, wissen alles und empfinden alles durch diese Mauer des Todes hindurch, genauso wie der Fisch es durch seine Wasserschicht tut. Die größte aller Hochstapeleien der denkenden Menschen ist, dies je als "Leben" bezeichnet zu haben. Das ist die sensationellste Fehlbenennung seit Anbeginn der Geschichte. Es kann nicht einmal die Rede von einer Symbiose von Leben und Tod sein, denn dieses "Leben" ist der Tod. Es ist eine Nekro-biose.

Aus Mangel an Mut, diese einfache grundlegende Tatsache der Evolution der Arten zu erkennen, sind wir in alle möglichen falschen Richtungen geprescht, mit all den falschen Mitteln.

Das fliegt uns jetzt ins Gesicht.

Der Lascaux-Mensch kam vor vierzehntausend Jahren - uns ist noch immer nicht gelungen, unser menschliches Geheimnis zu finden...

Welche falschen Wege haben wir also verfolgt?

Es gilt "den Gang zu beschleunigen", wenn es nicht bereits zu spät ist.

Es gilt den Riß in der Mauer zu finden, diese Stelle im Körper, in der die Möglichkeit für den nächsten Schritt der Spezies oder die nächste Spezies liegt. Und in welcher Richtung müssen wir überhaupt suchen? Offensichtlich nicht in einer Verbesserung unserer Gehirnwindungen oder anderen Erfindungen, genauso wenig wie zusätzliche oder bessere Flossen dem Hai halfen, zur Amphibie zu werden.

Amphi-bie heißt ein Wesen, das auf "beiden Seiten" lebt (oder auf beiden Seiten stirbt, ganz wie man will). Wir sind keine Amphibie: wir "leben" nur auf einer einzigen Seite, jener des Todes. Von der Erde, den Planeten und allen nur möglichen Sternen - ohne von uns selbst zu sprechen - kennen wir nur die "Seite des Todes". Was liegt auf der anderen Seite der Mauer? - Ohne eine Leiche zurückzulassen?

Sehen wir doch auf der anderen Seite der Mauer, da liegt der "reine Geist" oder eine Kiste im Friedhof. Sehen wir weiter wo ist eure "Mauer"? Wir haben sie noch nie mit unseren Mikroskopen gesehen! Wir haben Herzanfälle, Tuberkel, flache Enzephalogramme und von Lastwagen Überfahrene gesehen, und dann die Gebeine in einer Kiste. Aber wo ist eure Mauer? Die wäre doch sichtbar!

Wir sehen nichts, genauso wenig wie der Fisch in seinem ozeanischen Goldfischglas. Wir haben alle "Lebensbedingungen" definiert, ohne zu merken, daß es Todesbedingungen sind. Wir sagten: jenseits soundso viel Grad Celsius bedeutet es den Tod; jenseits dieses atmosphärischen Druckes bedeutet es den Tod; jenseits dieser Konzentration von Sauerstoff bedeutet es den Tod; jenseits die Liste aller "Jenseits" des Lebens nimmt kein Ende, weil es all die "Jenseits" des Todes und all die Mauern unseres Gefängnisses sind - innerhalb dessen wir uns für wohlauf und lebendig halten. (Nicht mehr ganz so wohlauf in letzter Zeit.)

Aber das ist eine Lüge.

Es könnte durchaus sein, daß diese einfache grundlegende Tatsache der Evolution uns auch den Schlüssel zum nächsten Schritt der Evolution liefert, oder wie Sri Aurobindo es ausdrückt, zur "neuen Evolution", und zwar nicht die von Lamarck oder Darwin, sondern jene der Entstehung des ersten Lebens auf der Erde - die Nekro-biose wird ihres falschen Namens enthauptet.

Der Große Riß in der Mauer der Evolution.

Die Schwäche einer Spezies ist ihr bestes Mittel, zu etwas anderem überzugehen.

Die nächste Spezies ist keine "Verbesserung" der vorhergehenden. Nicht etwas Hinzugefügtes wie Flossen, Pfoten oder Flügel, oder zusätzliche Hirnwindungen, sondern etwas, das wegfällt, und dieses wegfallende Etwas ist im wesentlichen "das, was den Tod bewirkt", den Tod aller Arten. Der vorzeitliche Kokon, der alles umhüllt und alles verfaulen läßt.

Es gibt keinen "Übermenschen", sondern einen anderen Menschen, oder vielleicht einen ersten Menschen, denn bis jetzt waren es kaum mehr als sterbliche Tiere mit einer mehr oder weniger geschickten Intelligenz begabt, um ihrem traurigen Schicksal nach oben oder nach unten zu entfliehen.

Weder die spirituelle Höhe noch die materielle Tiefe helfen uns, sondern das Innere unseres Körpers - und zwar ein so tiefes Inneres, daß es vielleicht zu einer Zeit vor den Trilobiten und der Lithosphäre zurückreicht. Wir haben nichts von den "Außerirdischen" zu erhoffen, sondern ein mächtiges Geheimnis eines unbekannten Innerirdischen.

Wir erkennen also bereits eine Richtung - diese sterbliche Schwäche -, und das ist der erste Schritt, um den Schlüssel zu erhaschen.

Es ist so offensichtlich - um etwas Philosophie zu treiben (eine aquatische und demnächst amphibische) -, daß nichts im Universum sein kann, wenn nicht um der Freude willen. Eine Schöpfung oder "Seinsart" für Tod, Hölle und Schmerz ist eine Sinnlosigkeit, außer wir sagen wie die armen Gladiatoren im römischen Zirkus: Ave Caesar, morituri te salutant, "Heil Cäsar! Wir, die sterben werden, grüßen Dich!"

Und es scheint genauso offensichtlich, daß dieser tierische Körper, Produkt der Evolution und hervorgebracht vom Tod - von unzähligen Toden -, keinen anderen erkenntlichen Sinn hat, als das Geheimnis des Nicht-Todes und das Lachen der Freude in genau diesem, aus dem Tode hervorgegangenen Körper zu finden.

Dies ist die große Herausforderung der Evolution und der nächste Schritt der Spezies.

Die Religiösen und die Wissenschaftler haben uns in die Irre geführt.

Sowohl die Wissenschaft als auch die Religionen haben uns gelähmt - man könnte sagen, verdummt -, unserer eigenen Mittel und unseres eigenen evolutionären Geheimnisses beraubt, die einen, indem sie uns in den Himmel schickten, und die anderen in die utilitaristische Mechanik. Wir sind nicht wissenschaftlich, sondern gelähmt. Sind wir überhaupt "menschlich"? Wir besitzen Telefon, Telex, Flugzeuge und was weiß ich - alle möglichen Mittel, um im Gefängnis zu sterben, wissenschaftlich verzeichnet und verriegelt, alles Nötige, um nicht den Schlüssel finden zu müssen. Dazu eine Medizin mit allen Mitteln, um an ihren Heilungen zu sterben.

Wo aber ist das Leben?